Online-Eigentümerversammlung: Experten sind geteilter Meinung

21. Feb. 2024Der Bundestag berät über einen Gesetzentwurf, der es ermöglichen soll, Eigentümerversammlungen auch vollständig online abzuhalten. Die im Vorfeld einer Expertenanhörung veröffentlichten Stellungnahmen fallen unterschiedlich aus.

Eigentümerversammlungen sollen künftig auch vollständig online abgehalten werden können, wenn die Wohnungseigentümer dies mehrheitlich beschließen. Das sieht ein Gesetzentwurf vor, über den der Bundestag in erster Lesung am 18.1.2024 (  Video der Bundestagsdebatte) beraten hat. Demnach sollen die Wohnungseigentümer mit einer Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen die Möglichkeit rein virtueller Eigentümerversammlungen in ihrer Gemeinschaft beschließen können; die Erlaubnis soll auf einen Zeitraum von drei Jahren ab Beschlussfassung begrenzt sein.

Der Entwurf wird nun in den Ausschüssen beraten. Eine Expertenanhörung im Rechtsausschuss hat am 19.2.2024 stattgefunden (  Video der Anhörung).

Stellungnahmen der Experten zur Online-Eigentümerversammlung

Die vorab veröffentlichten schriftlichen Stellungnahmen, die im Anschluss verlinkt sind, ergeben ein differenziertes Meinungsbild.

Stellungnahme des VDIV

Der Verband der Immobilienverwalter Deutschland (VDIV), für den Geschäftsführer Martin Kaßler im Rechtsausschuss auftreten soll, begrüßt Inhalt und Zielsetzung des Gesetzentwurfs. Durch die virtuelle Eigentümerversammlung würden die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Beschlussfassung innerhalb einer Eigentümergemeinschaft um das letzte noch fehlende Element ergänzt und vervollständigt, heißt es in der Stellungnahme. Das qualifizierte Mehrheitserfordernis und die besonderen gesetzlichen Voraussetzungen, die in der geplanten Regelung vorgesehen sind, brächten das Recht der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) auf ordnungsmäßige Verwaltung und die Mitgliedschaftsrechte der Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer in einen ausgewogenen und angemessenen Einklang.

Ausdrücklich begrüßt der Verband, dass die konkrete, insbesondere technische Ausgestaltung virtueller Eigentümerversammlungen im Hinblick auf die schnelllebigen technischen Entwicklungen nicht näher geregelt werden, sondern dies der Praxis und der Rechtsprechung überlassen werden soll. Zudem betont der VDIV, dass die geplante Öffnung für Mehrheitsbeschlüsse über Online-Eigentümerversammlungen die Digitalisierung im Bereich der Eigentümerversammlung ein wichtiges Stück voranbringen, gleichzeitig aber die Präsenzversammlung weiterhin das überwiegende Versammlungsformat bleiben werde.

Der VDIV widerspricht Befürchtungen, ältere und weniger technikaffine Eigentümer könnten an der Wahrnehmung ihrer Mitgliedschaftsrechte gehindert werden, wenn Eigentümerversammlungen komplett online abgehalten werden. Während der Corona-Zeit sei ein Großteil der Gesellschaft im Umgang mit elektronischen Kommunikationsmitteln vertraut geworden. Das gelte für alle Altersklassen, Bildungsgruppen und sowohl für die private als auch die berufliche Umgebung.

Stellungnahme Jost Emmerich

Auch Jost Emmerich, Richter am OLG München, begrüßt den Gesetzentwurf. Das vorgesehene Quorum von drei Vierteln, das sich in der Praxis ohnehin nur selten finden lasse, gewährleiste ausreichenden Schutz der übrigen Eigentümer. Zudem könnten die Eigentümer jederzeit mit einfacher Mehrheit per Geschäftsordnungsbeschluss eine Rückkehr zur Präsenzversammlung beschließen. Auch dadurch, dass jeder Beschluss über die Gestattung virtueller Eigentümerversammlungen der gerichtlichen Kontrolle unterliege, seien die Eigentümer geschützt. Letztlich obliege es der Rechtsprechung zu klären, für welche Gemeinschaften konkret virtuelle Eigentümerversammlungen geeignet erscheinen und wie der Individualrechtsschutz durchgesetzt wird.

Emmerich regt an, den Gesetzentwurf dahingehend zu ergänzen, dass während der Dauer eines Beschlusses über virtuelle Versammlungen auch die Einberufung von Präsenzversammlungen möglich bleibe.

Stellungnahme Haus & Grund Deutschland

Der Eigentümerverband Haus & Grund Deutschland, für den Präsident Dr. Kai Warnecke im Rechtsausschuss auftreten soll, begrüßt das Vorhaben grundsätzlich und bezeichnet die Ausweitung hin zu einer rein virtuellen Versammlung als konsequenten und zumindest mittelfristig notwendigen Schritt in die digitale Zukunft. Allerdings sei fraglich, ob es nicht noch eine erhebliche Anzahl an Eigentümern gebe, die nicht über die technischen Möglichkeiten oder das Verständnis zur Teilnahme an einer rein virtuellen Eigentümerversammlung verfügten. Das vorgesehen Quorum von drei Vierteln sei nicht geeignet, um diesen Bedenken entgegenzuwirken. Der Verband fordert daher, reine Online-Eigentümerversammlungen nur mit einstimmigem Beschluss zuzulassen. Auch plädiert der Verband im Hinblick auf die Sicherstellung der Nicht-Öffentlichkeit und die technische Umsetzung für die Formulierung von Handlungsempfehlungen.

Stellungnahme Wohnen im Eigentum

Der Eigentümerverband Wohnen im Eigentum (WiE), der bei der Anhörung durch Vorständin Gabriele Heinrich vertreten wird, lehnt die Möglichkeit, Eigentümerversammlungen vollständig online durchführen zu können, dagegen ab. Die Teilnahme an der Eigentümerversammlung sei ein Kernrecht aus dem Wohnungseigentum. Zudem bestehe die Gefahr, dass „ältere, hörgeschädigte, bildungsbenachteiligte und technisch nicht versierte“ Eigentümer ausgegrenzt werden. Schließlich verweist der Verband auf die Gefahr technischer Probleme, die eine Teilnahme an einer Online-Eigentümerversammlung vereiteln könnten. Die bereits bestehende Möglichkeit hybrider Versammlungen reiche aus.

Stellungnahme Dr. Oliver Elzer

Auch Dr. Oliver Elzer, Richter am Kammergericht, sieht das Vorhaben kritisch. Entgegen den Überlegungen der Bundesregierung bestehe für virtuelle Eigentümerversammlungen kein praktisches Bedürfnis. Vielmehr dürfe den Wohnungseigentümern nicht die Möglichkeit genommen werden, anlässlich der Versammlung anstehende Fragen bilateral mit der Verwaltung zu besprechen sowie die Verwaltung und deren Mitarbeiter sowie die anderen Wohnungseigentümer näher kennenzulernen. Zudem seien viele Menschen nicht bereit, ihr Bild online zu offenbaren und auf einer Plattform frei zu sprechen. Letztlich würden durch virtuelle Versammlungen viele Wohnungseigentümer von der Verwaltung ihres wichtigen Wirtschaftsgutes ferngehalten. 

Soweit der Gesetzentwurf darauf verweise, dass sich weniger technikaffine Eigentümer durch Verwandte oder Freunde unterstützen lassen könnten, sei dies im Hinblick auf den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit bedenklich. Auch der Hinweis auf eine mögliche Teilnahme bei anderen Wohnungseigentümern sei rein theoretisch und beispielsweise bei Redebeiträgen und Abstimmungen technisch nicht oder nur schwer umsetzbar.

Als möglichen Kompromiss schlägt Dr. Elzer die Pflicht vor, am Ort der Wohnungseigentumsanlage einen „Teilnahmeraum“ einzurichten, in dem jeder interessierte Eigentümer an der virtuellen Versammlung teilnehmen kann.

Stellungnahme Rechtsanwalt Urs Markus Taube

Kritisch äußert sich auch Rechtsanwalt Urs Markus Taube aus Fürth. Der Gesetzentwurf versabschiede sich von zwei zentralen Rechtsgrundsätzen im Zusammenhang mit Eigentümerversammlungen, nämlich dem Recht zur Teilhabe an der Entscheidungsfindung in der Eigentümerversammlung sowie vom Grundsatz der Nichtöffentlichkeit.

Ergänzend verweist Taube darauf, dass Videokonferenzen selbst bei jüngeren und technikaffinen Teilnehmern, die solche Formate gewöhnt seien, anstrengend und ermüdend wirkten. Auch erforderten virtuelle Eigentümerversammlungen keinen geringeren Aufwand in Vorbereitung und Durchführung als Präsenzversammlungen. Der hypothetischen Kostenersparnis für eine Anmietung eines Versammlungsraums stünden die Kosten für die Anschaffung und den Betrieb eines Videokonferenzsystems, einschließlich der Lizenzkosten für Software und der Schulungskosten, gegenüber.

Schließlich sei angesichts dessen, dass eine virtuelle Eigentümerversammlung hinsichtlich der Teilnahme und Rechteausübung mit einer Präsenzversammlung vergleichbar sein müsse, mit der Zunahme von Nichtigkeits- und Beschlussanfechtungsklagen zu rechnen, falls während der Versammlung technische Störungen auftreten und hierdurch Miteigentümer von der Teilnahme und Beschlussfassung ausgeschlossen werden, eine Versammlung nicht fortgesetzt oder gar nicht erst begonnen werden könne.

Stellungnahme Bundesrechtsanwaltskammer

Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hält es für sinnvoll, die Durchführung reiner Online-Versammlungen beschließen zu können und verweist darauf, dass die geplante Ausgestaltung des Gesetzes die Präsenzversammlung als Regelfall beibehalte. Gleichzeitig regt die BRAK an, im Gesetz aus Datenschutzgründen auch Anforderungen an die für die Online-Versammlung verwendete Software zu definieren.

 Stellungnahme des VDIV

 Stellungnahme Jost Emmerich

 Stellungnahme Haus & Grund Deutschland

 Stellungnahme Wohnen im Eigentum

 Stellungnahme Dr. Oliver Elzer

 Stellungnahme Rechtsanwalt Urs Markus Taube

 Stellungnahme Bundesrechtsanwaltskammer

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